Presse

"Im Netz spielt die Musik"

(Ausg. 292 - 18. Dezember 2012)

Rainer Leonhardt hat einen seltenen Beruf: Er ist Geigenbaumeister.

Vom Weihnachtsgeschäft profitiert er nicht – dafür von Facebook

(VON STEPHANIE KUNDINGER)

Mittenwald – Rainer Leonhardt reibt seine

Hände an seiner blauen Schürze warm. Soeben ist er in der Kälte über den Hof gelaufen, von der alten Werkstatt, in der

schon sein Großvater gearbeitet hat, hinüber ins moderne Musikzimmer. Es befindet sich im Erdgeschoss seines Wohnhauses in Mittenwald (Kreis Garmisch-Partenkirchen), zwischen der zweiten Werkstatt für Reparaturen und einem Verkaufsraum. Der Schnee liegt im Winter fast 50 Zentimeter hoch auf seinem Hausdach, Leonhardt klopft die Flocken von der Kleidung ab. Aus dem Musikzimmer hört er die Klänge einer Bratsche. Ein Instrument, das er selbst gebaut hat–und da seine Kundin nun ausprobiert. Dafür ist sie extra aus Südtirol angereist. Auch zwei Touristen aus Finnland klopfen an diesem Vormittag an das Werkstattfenster, mit roten Wangen und eingeschneiten Mützen: Sie seien gerade in den Bergen unterwegs und auf der Suche nach Bogenhaaren, erzählen sie Leonhardt auf Deutsch, aber mit Akzent.

Bevor sie eine Kaufentscheidung treffen, rät der Meister seinen Kunden zu einem Spaziergang

Im Internet haben sie vom Geigenbaumeister in Mittenwald erfahren und wollten deshalb kurz vorbei schauen. „Das ist heute aber eine Ausnahme“, sagt Leonhardt, und damit meint er nicht generell die Kunden aus dem Ausland – sondern dass der Andrang an diesem Vormittag, mitten im Dezember, recht groß sei. Die Weihnachtszeit sei für sein Geschäft nämlich eher eine Katastrophe, wie er sagt: „Da kommt normal niemand.“ Jedes Jahr um diese Zeit würde seine Frau den Hauseingang liebevoll weihnachtlich dekorieren, und jedes Jahr im Januar würde sie die Gestecke enttäuscht wieder wegräumen und feststellen, dass fast keine Kunden da waren, um ihre Arbeit zu bestaunen. Leonhardt zuckt mit den Schultern: „Wahrscheinlich haben die Leute im Weihnachtsstress einfach keine Zeit, ein Instrument zu kaufen.“ Zeit müssen die Interessenten beim Kauf einer Geige, einer Bratsche, eines Kontrabasses oder eines Cellos in Mittenwald jedoch mitbringen. Neben der Beratung probieren sie die Streichinstrumente im Musikzimmer lange aus, so wie die Dame aus Südtirol. Danach empfiehlt Leonhardt oft einen Spaziergang. Vielen falle die Entscheidung nach einer Pause leichter. „Man nimmt den Klang dann auch wieder ganz anders wahr“, sagt Leonhardt. Manche verbinden den Besuch sogar mit einer Wanderung und bleiben über Nacht. Rainer Leonhardt ist Geigenbaumeister. In seinem Familienbetriebwerden seit 1926 Streichinstrumente hergestellt. Damit gehört er innerhalb der Handwerksberufe zu einer Randgruppe: Von den fast fünf Millionen Menschen, die bundesweit im Jahr 2009 im Handwerk tätig waren, haben etwa 5200 ihr Geld mit dem Bau von Musikinstrumenten verdient. Dazu zählen beispielsweise Orgelbauer, Bogenmacher, Metallblasinstrumentenmacher oder Geigenbauer, meldet das statistische Bundesamt. Instrumente werden jedoch auch in größeren Industriebetrieben angefertigt: Laut Statistik ging die Zahl dieser Unternehmen zurück. Im Jahr 2008 waren in Deutschland 64 Betriebe im verarbeiteten Gewerbe gemeldet, 2011 waren es 58. Für den oberbayerischen Geigenbaumeister Leonhardt ist klar, warum nur wenige in der Branche tätig sind: „Wie viele Menschen kennt man imeigenen Bekanntenkreis denn schon, die zum Beispiel Geige spielen? Meistens nicht viele.“ Hinzu komme, dass gerade Musikschulen mit Großaufträgen die Instrumente meist aus China importieren. Er zeigt auf einen Stapel mit Etuis, die vor ihm an einer Werkbank liegen. EineMusikschule hat Instrumente für Reparaturarbeiten abgegeben. „Alles aus China.“ Geigen oder Bratschen aus Asien gebe es wegen der niedrigen Arbeitskosten für ein paar hundert Euro. Von Hand gefertigte Objekte aus seiner Werkstatt kosten zum Teil gut 10 000 Euro. „Und das ist das mittlere Preissegment“, sagt Leonhardt, gedacht für Anfänger bis hin zu guten Musikern. Berühmte Solisten gehören nicht zum Kundenstamm. Doch gerade in den Familien scheint das Musizieren nachzulassen: Nach einer Umfrage im Auftrag des Verbandes der Musikinstrumenten- und Musikequipmentbranche

Somm wird noch in rund 17 Prozent der deutschen Haushalte ein Musikinstrument gespielt. Im Jahr 2008 waren es 25 Prozent. Als Grund nennt der Verband unter anderem die Kosten, die mittlerweile viele Menschen scheuen. Rainer Leonhardt bezeichnet sein Geschäft dennoch als stabil. „Musik wird immer gemacht und von vielen gepflegt.“ Außerdem sehen die Kunden den Kauf eines Streichinstruments derzeit als Geldanlage: In der Regel steige der Wert mit der Zeit. Vier Geigenbauer und eine Geigenbauerin arbeiten in der Werkstatt in Mittenwald. Gut 80 Instrumente stellen sie im Jahr her, für eines benötigen sie durchschnittlich 150 Arbeitsstunden, ohne Lackierung. Darüber hinaus handelt Leonhardt auch mit alten Markeninstrumenten, zum Teil aus dem Ausland, bis zu einem Wert von 30000 Euro: „Die werden gehandelt wie Antiquitäten.“

„Es gibt wenige Länder, in die ich noch nichts verkauft habe“, sagt Leonhardt

Kollegen im Berufszweig müssen laut Leonhardt jedoch aktiv werden, um vom Geschäft in der Musikinstrumentenbaubranche gut leben zu können – wenn das Unternehmen nicht gerade in der Nähe eines großen Orchesters ansässig ist. Er selbst hat vor einigen Jahren seinen Internetauftritt ausgebaut und ist in sozialen Netzwerken wie Facebook aktiv: Fast 2000 Freunde hat der Handwerker dort,im internationalen Wettbewerb hätten sich die Streichinstrumente aus Mittenwald im Web einen Namen gemacht. Regelmäßig kommen Kunden aus dem Ausland vorbei, viele auch aus China. „Es gibt wenige Länder, in die ich noch nichts verkauft habe“, sagt der Geigenbaumeister. Kunden bietet er einen Newsletter per Mail an, auf seiner Homepage gibt es ein Instrument des Monats. Selbst beim Online-Versteigerungsportal Ebay bietet er Zubehörteile an. So finden immer wieder ausländische Kunden den Weg in die Gemeinde mit knapp 7500 Einwohnern, in die kleine Werkstatt eines oberbayerischen Handwerkbetriebes, mit Blick auf die verschneiten Berge.

Meister seines Fachs: Rainer Leonhardt baut seit mehr als 30 Jahren Streichinstrumente.

In seiner Werkstatt in Mittenwald beschäftigt er fünf Mitarbeiter. FOTO: OH

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