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Panorama vom 13.11.2010 Ein Ort voller Geigen


Ein Ort voller Geigen

In Mittenwald im Karwendel dreht sich fast alles um die filigranen Streichinstrumente (von Uwe Gebauer)

Tradition zu bewahren, kann mühsam sein. Das Handwerk, das schon sein Vater und beide Großväter ausübten, geht Rainer Leonhardt leicht von der Hand. Aber was damit verbunden ist, bereitet ihm durchaus Ungemach: "Dieses Geigenspielen..." Der Mann ist Geigenbauer, hat einen von knapp 20 Geigenbaubetrieben in Mittenwald. Hunderte von Streichinstrumenten hängen und stehen in Haus und Werkstatt um ihn herum. Uralte, renoviert oder renovierungsbedürftig, mittelalte und neue. Und viele, die noch gar nicht fertig sind. Es duftet nach Holz und riecht nach Leim, Harz und Lack. Und es ist still im Haus. Bis auf den Chef ist niemand mehr in der Werkstatt. Und ein Instrument mag gerade niemand zum Spielen in die Hand nehmen. Auch nicht Leonhardts 13-jähriger Sohn Max. Der hat zwar die Liebe zum Geigenbauen vom Vater. Aber auch die leichte Aversion gegen das Musizieren. Doch die Geigen faszinieren auch wenn sie nicht gespielt werden. Weit über 100 Arbeitsstunden stecken in jedem Instrument aus dieser Meisterwerkstatt. Und das Know-how aus Jahrhunderten. Seit 320 Jahren werden in Mittenwald Streichinstrumente gebaut; seit über 80 Jahren in diesem Familienbetrieb. Reine Handarbeit sind die Geigen und Bratschen , Celli und Kontrabässe. "Alles kein Hexenwerk." Mit Werkzeugen wie vor Generationen - nur wenig elektrisches Gerät hat den Weg in die Werkstatt geschafft. Das meiste wird mit Stecheisen, Handsäge und Bohrer erledigt. Zarte und feine Arbeit. Nur bei den Kontrabässen geht es etwas robuster zu: "Das ist eher die Möbelschreinerei im Geigenbau." Entscheidend bleibt das Gefühl für den Werkstoff und für das Instrument. Der gewölbte Boden der Instrumente ist aus massivem Holz geschnitten - nicht gebogen. Das braucht beherztes Stechen und große Vorsicht gleichermaßen. Und den Blick fürs Holz. Überhaupt: der Werkstoff. Einer der Gründe für Mittenwald große Geigenbautradition. Früher war die Sache ganz einfach. Langsam wachsendes Holz mit dicht aneinander liegenden Jahresringen wächst nur in der Höhe. Beispielsweise hier im Karwendel, noch ein Stückchen hinter Garmisch-Partenkirchen, auf über 1000 Metern Seehöhe. Bergahorn für den Boden, Fichte für die Decke: Das gibt es an Ort und Stelle. Heute ist die Suche mühsamer. Einen ordentlichen Stamm bezahlt Leonhardt schon mal mit 50000 Euro. Und kauft nicht viel mehr als ein Los: "Was das Holz wirklich taugt, sehe ich erst, wenn es geschnitten ist." Viele Stämme kommen aus Bosnien. Und das Ebenholz, das Leonhardt für Griffbrett und Wirbel verwendet, hat noch weitere Wege hinter sich. Auf dem Dachboden lagern unfassbare Werte. Was kaum zu umgehen ist: Das Holz trocknet allein an die 20 Jahre. Inzwischen ist vor allem der versammelte Sachverstand das Argument für den Standort Mittenwald. Noch an die 20 Geigenbau-Betriebe gibt es mit Kunden in aller Welt - und in den Orchestern aller Herren Länder. Und Deutschlands einzige Geigenbauschule. Konkurrenz belebt offensichtlich das Geschäft. Leonhardt jedenfalls klagt nicht. Bei Instrumentenpreisen von 1500 bis knapp 10000 Euro ist er zwar von der absoluten Spitzenklasse und Top-Preisen weit entfernt, findet aber mit sauberer Qualität durchaus seine Kundschaft. Seine Tricks und Geheimnisse verrät er - natürlich - nicht. Nur Leim aus tierischen Substanzen hält die Geigen beisammen. Und wenn es ans Äußere geht, kommen Mastix, Kopal, Propolis, Schellack, Benzoe, Drachenblut, Weihrauch, Aloe, Krappwurzel und viele andere Harze und Farben zum Einsatz. Sie werden in Öl oder Spiritus gelöst, um die klanglichen Eigenschaften zu fördern - und schön auszusehen. Bis zu 25 Mal legt der Meister beim Lackieren Hand an. Mit selbst gemischten Lacken. Das Ergebnis, räumt Leonhardt ein, "ist jedes Mal eine Überraschung." Aber bislang konnte es sich noch immer hören und sehen lassen. Gar so empfindlich sind die Instrumente dann nicht: "Behandeln Sie die Geige wie ein Baby. Das verträgt auch was. Und sie lassen es trotzdem nicht im Regen stehen." Mittenwald lebt gut mit dem Ruhm seiner Geigenbauer. Die haben vor Hunderten von Jahren so viel Geld in die Stadt gebracht, dass prachtvoll gebaut wurde. Davon profitiert das Ortsbild ebenso wie von den Lüftlmalereien, die seit den Gründerjahren en vogue sind. Und von der internationalen Bekanntschaft , die Instrumentenbauer, Schule und auch das Geigenbaumuseum mit sich bringen. Und der Urlauber? Kann den Geigenbau von vorne bis hinten genießen. Beim Wandern durch den Rohstoff in den Bergwäldern; hier in diesem kleinen Zipfel Hochgebirge , den Deutschland ergattert hat. Beim Stöbern im Geigenbaumuseum oder einem der Betriebe. Und bei manchem Konzert. Wenn echte Virtuosen zu hören sind. Und nicht Menschen, die Geigen lieber bauen als sie zu spielen.

(Panorama vom 13. November 2010)

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